St. Maria (11) Der Kreuzweg der Beuroner Malerschule
11 · Der Kreuzweg der Beuroner Malerschule
Vom ursprünglichen Kreuzweg der Beuroner Schule ist nur noch das Bild der Dornenkrönung über der Seitentür im rechten Kirchenschiff vorhanden. (Website der Kirchgemeinde)
Über der rechten Seitentüre (zur Furtbachstraße) findet man dies Bild und wird es nicht verstehen. Ursprünglich war es Zentrum der 1. Station des Kreuzwegs (Verhör vor Pilatus), welcher sich dann durch die Kirche fortsetzte mit jeweils 2 Stationen bis zur gegenüberliegenden, linken Seitentüre (zur Tübinger Straße) mit der Grablege.
Dieser Kreuzweg muss seinerzeit von außerordentlicher Bedeutung gewesen sein, denn schon 1892 erschien in 2. Auflage eine umfangreiche Publikation im Herder-Verlag Freiburg:
Die XIV Stationen des heiligen Kreuzwegs
Eine geschichtliche und kunstgeschichtliche Studie
Zugleich eine Erklärung der Kreuzweg-Bilder der Malerschule von Beuron von
Dr. Paul Keppler,
Professor der Theologie, Vorstand des christlichen Kunstvereins der Diöcese Rottenburg.
In einem großen (ca. 60 x 45 cm) Bildband werden die einzelnen Stationen abgebildet, natürlich in schwarz-weiß, aber hergestellt im Lichtdruck, das seinerzeit bestmögliche Druckverfahren = ohne Rasterpunkte, dazu ein Text-Kommentarband. Beide Bände sind in der WLB Stuttgart finden.
Außerdem wurde damals eine Postkartenserie herausgegeben, die uns in 1 Exemplar im Staatsarchiv Ludwigsburg überkommen ist.
Leider ist die Farbgestaltung der 14 Stationen nicht rekonstruierbar. Der Kreuzweg wurde aber ab 1921 als Vorbild gewählt für einen ebensolchen in der Kirche St. Joseph in Berlin-Wedding. Auf der Website der Kirchgemeinde ist der Kreuzweg nur im Hintergrund zu erkennen, auf der Website des Landesdenkmalamts Berlin ist die 13. Station abgebildet (Bild 4), diese Spur ist aber noch weiter zu verfolgen...
Nachfolgend zunächst Foto des Zustands heute, also Fragment Beuron im Türgiebel, unten links und rechts der Türe die Kreuzwegstationen a + 1 von Otto Habel.
Im oben erwähnten Bildband und der Postkartenserie findet man die 1. Station:
in diese digital einmontiert das erhaltene Fragment aus dem Türgiebel:
Hieraus läßt sich der gesamte Beuroner Kreuzweg ableiten (siehe auch Grundriss oben):
11.1 · Beuroner Kreuzweg - Übersicht
11.2
Dr. Paul Keppler
Verfasser dieser beiden Bände, wurde am 28.09.1852 in Schwäbisch Gmünd geboren, 18.01.1899 Bischofweihe (Rottenburg), am 16.07.1926 gestorben.
==> Wikipedia
11.3 · Die 14 Stationen des Beuroner Kreuzwegs
Auf die Wiedergabe der S. 1 - 44 aus dem Textband (I. Die Geschichte des Kreuzwegs - II. Die Kreuzwegandacht und die bildende Kunst) wird hier verzichtet. Nachfolgend zum Download die S. 45 - 57.I (Geschichte der Schule. — Richtung und Tendenz. — Stil. — Farbengebung. — Der Stuttgarter Auftrag). Die Erläuterungen zu den einzelnen Stationen (S. 57.II - 67) ist den Scans aus dem Bildband beigefügt.
1. Station
Die erste Composition (Jesus wird zum Tod verurtheilt) ist dadurch räumlich stark beeinflusst, dass das ihr zur Verfügung stehende Feld durch eine weit hereingreifende spitzbogige Thürlünette entzwei getheilt wird. Damit war auch eine Zweitheilung der Composition geboten, und als Malraum für sich war das geschlossene Bogenfeld der Thüre auszunützen. So sehen wir denn links von der Thüre (hier und im folgenden immer vom Standpunkt des Beschauers aus gemeint) Pilatus auf dem Richterstuhl, eben die Handwaschung vornehmend, das Antlitz merklich beschattet von Sorge, Bedenken, Unzufriedenheit mit sich selbst, was dem verwunderten Blick des Lictors an seiner Seite nicht entgeht. Vor seinem Richterstuhl aber steht der Hohepriester mit zwei Vertretern des Synedriums; sie wenden sich mit flammendem Blick, mit erregter Geste des Abscheus und der Verwerfung, mit Worten der Wuth und Schmähung nach der andern Seite, gegen die Person Jesu hin. Sie scheinen das Todesurtheil, das Pilatus ungern und zaghaft ausgesprochen, mit vollem Herzen, mit innerstem Affect zu wiederholen und Jesus zuzuschleudern; sie vollziehen den Bruch mit ihrem Messias und überantworten ihn in den Tod. So kommt schön zum Ausdruck, dass nicht so fast Pilatus als sie ihn in den Tod gebracht haben. Drüben aber auf der andern Seite steht Er gross in stiller Majes-tät da, ganz dem Beschauer zugekehrt; die durch Schmerz und Schmach gedämpfte Glorie, die Schönheit seiner Liebe und Geduld leuchtet mit verstärktem Glänze, da sein edles Antlitz rings umrahmt ist von einem Kreis gemeiner, roher Proletariergesichter. Sein Gewand ist hier wie auf den folgenden Bildern der einfache rothe Leibrock ohne Mantel, dessen kräftige Farbe ihn überall sofort als die Hauptperson erkennen lässt, dessen Einfachheit seiner Armuth und Niedrigkeit entspricht. Die Schergen ergreifen und binden ihn, um ihn nach der Dornenkrönung zur Kreuzigung zu führen; einer schickt sich eben an, ihm von hinten den Dornenkranz wieder aufzusetzen.
Die Verbindung dieser Bildhälfte mit der andern stellt ein römischer Soldat her von edleren Gesichtszügen; er wendet das Antlitz mitleidig dem Heiland zu und wendet die Hand abwehrend gegen die Hierarchen, unwillig über ihre Lästerung und Verwerfung. Nach rechts aber bildet den Abschluss der ganzen Composition Judas, welcher von Jesus abgewendet seine Silberlinge in den Beutel zählt. Mittelst einer sehr erlaubten Aneinanderdrängung zeitlich nicht zusammen fallender Momente ist nun in den beiden Theilen dieses Bildes der für das Verständniss des ganzen folgenden Dramas unentbehrliche Vorunter-richt gegeben, welcher in Worte gefasst lautet: Der, dessen Todesgang und Todesleiden ihr nun schauen sollt, kommt in solche Schmach und Noth, verrathen durch seinen Jünger, verurtheilt durch den römischen Landpfleger, mehr noch dem Tod überantwortet durch die Oberen seines Volkes, vor allem aber — das besagt seine das ganze Bild beherrschende Gestalt, die sich mit gesenktem Haupt, mit ausgebrei-teten Armen selbst ausliefert und hingibt — vor allem aber hingeopfert durch seinen eigenen Willen und durch seine Liebe. «Oblatus est, quia ipse voluit», lautet mit Recht die Inschrift. Nun schliesst aber das Bogenfeld der Thüre noch eine ergreifende Zwischenepisode ein, eine Commemoration der Geisselung und Dornenkrönung, welche an die altbeliebten Erbärmde- und Ruh-Christi-Bilder erinnert. Mit Purpur-mantel, Dornenkrone und Schilfscepter sitzt der Heiland auf einem Stein, das müde Dulderhaupt mit der Hand stützend; links die Geissel-säule und ein roher, spottender und schlagender Geselle, rechts ein anbetender Engel, das Auge voll schauernder Liebe auf den Heiland heftend: drei mächtig wirkende Contraste, die höhnende, misshan-delnde menschliche Verkommenheit, die leidende Unschuld, die anbetende Liebe. Das ist das Programm für alle anderen Darstellungen, und der anbetende Engel schönster Typus für die christliche Seele.
2. Station
In die zweite Composition (Jesus nimmt das schwere Kreuz auf sich) schiebt sich, sie diagonal durchschneidend, die arbor infelix herein, das Holz des Fluches mit seinen harten Linien, mit seiner herben Form, die sich ansieht wie eine verkörperte Dissonanz, wie eine Durchschneidung und Aufeinanderheftung von Schmerz und Schmach. Der Heiland aber schreitet erhobenen Hauptes, fast verklärt offenen Auges auf dasselbe zu, berührt es mit beiden Händen und weiht und heiligt es durch diese Berührung; man meint das harte Holz unter seiner Hand erzittern zu sehen, wie durchschauert von der Berührung der Gottheit, wie durchbebt von einer Ahnung seines hohen Berufs, als instrumentum salutis beim grossen Opfer zu dienen. Römische Soldaten richten es auf und bemühen sich, es Jesu auf die Schultern zu legen. Sie sowohl als der Hauptmann, der mit einem Trompetenstoss das Signal zum Aufbruch gibt, sind anders charakterisirt als die Schergen des vorigen Bildes. Auf ihren Gesichtern ist etwas von römischer gravitas zu lesen; daneben ein Zug tiefen Unbehagens, eine gedrückte Stimmung, ein unheimliches Gefühl, dass ein ungeheures Schicksal sich ihrer Hände bedient; der Hauptmann scheint es zu ahnen, dass er mit seinem Trompetenstoss einen weltgeschichtlichen Moment ankündigt. Gewiss eine grossartige Auffassung; dieser hochtragische Zug wird auch durch die folgenden Compositionen hin festgehalten und bietet schöne Möglichkeit, die ganze Schilderung über den Tiefen gemeiner Roheit zu erhalten. Hass und Wuth beseelt die beiden abseits stehenden Hierarchen, von welchen der eine mit erhobener Hand zum Aufbruch mahnt, während der andere mit Grimm Zeuge der Freudigkeit ist, mit welcher Jesus sein Kreuz begrüsst.
3. Station
Jesus fällt das erste Mal unter dem Kreuze; sein Fuss ist gestrauchelt, sein ermatteter Körper sinkt auf ein Knie, mit Mühe hat der Herr noch mit beiden Händen sich am Kreuz einen Halt geben können, dessen Hauptbalken einer der Soldaten rasch mit der Schulter aufgefangen. Sein Niederstürzen ruft lebhafte Bewegung hervor; am ruhigsten ist der starkknochige Soldat, welcher rechts die Scene abschliesst und welcher durch festes Halten des Kreuzes das völlige Niederstürzen zu Boden hat verhindern können; auf seinem Antlitz spielt ein Zug des Mitleids mit dem Erschöpften; ein anderer ist rasch herbeigeeilt, das Kreuz in der Mitte zu stützen, und er beugt sich auch nicht ohne Theilnahme über Jesus herab. Nur der, welcher Jesus an einem um den Leib geschlungenen Strick führt, ist ärgerlich über das Vorkomm-niss und zieht nicht eben allzu sanft den Strick mit beiden Händen an. Der Hauptmann hat rasch nach dem obern Ende des Querbalkens gegriffen, um das Umstürzen des Kreuzes zu verhindern; er ist hoch-erregt und indem er zu lautem Rufen den Mund öffnet und seinen Stab erhebt, um den Befehl zur Aufrichtung Jesu und zum Weiterziehen zu ertheilen, zeigt er sich abermals überwältigt von dem beängstigenden Bewusstsein, eine active Rolle spielen zu müssen bei dem furchtbaren Verhängniss, das über diesen, wie er bereits erkennt, schuldlosen Mann herein-bricht. Die Composition klingt mild aus in den zwei Frauengestalten links; eine edle Matrone und ihre Dienerin beklagen den Herrn, dessen Unschuld sie fühlen, und sie fordern vom Beschauer das Mitleid für Jesus.
4. Station
Nach der vorübergehenden Schwächeanwandlung, welche den ersten Fall verursachte, zeigt die vierte Station den Heiland wieder aufrecht, stark, energisch vorwärts schreitend, wie ein Riese seinen Weg laufend. Seine Liebe zu den Menschen spornt seine Kräfte — und seine Liebe zur Mutter, die eben auf dem Kreuzweg einherwankt, ihm ihr Mitleid zu bezeugen. Ihr Leid ist gross genug, es soll nicht durch den Anblick seiner Schwäche noch vermehrt werden. Er nimmt gleichsam all seine Kraft zusammen, um die der Mutter durch sein Beispiel zu stärken. Auch diese Auffassung ist sehr glücklich und echt christlich; keine Rührscene soll geschildert werden, bei welcher auf beiden Seiten die Weichheit des Gefühls die Stärke des Willens bedrohen würde. Diese Begegnung zwischen Mutter und Kind dient beiden zur Kräftigung und Stählung; aufrecht steht auch die Mutter da und breitet beide Hände gegen den Sohn aus, der sie segnet; hinter ihr kniet Magdalena und steht Johannes. Die Haltung der Soldaten ist eine durchaus würdige; keiner weist die Frauen zurück, keiner hätte gewagt, störend einzugreifen: über ihr hartes Gemüth kommt es wie zarte Rührung, wie Ehrfurcht vor dieser jungfräulichen Mutter; halb verlegen suchen sie theils das Vorkommniss zu ignoriren, theils werfen sie doch, die Gruppe umschreitend, neugierige Blicke auf die anziehende Scene oder flüstern sich ihre Eindrücke in staunenden Worten zu. Der Hauptmann steht voll Staunen da, zugleich bereit, mit der einen Hand jede etwaige unbefugte Einmischung abzuwehren; er befestigt sich sichtlich beim Anblick der Mutter im Bewusstsein der Unschuld des Sohnes. Den zwei Schriftgelehrten links bietet auch dieser ergreifende Vorgang bloss Anlass zu verächtlichen Bemerkungen.
5. Station
Ganz anders der Haupteindruck der folgenden Station: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen. Jesus hat in der That um der Mutter willen jene aufrechte, standhafte Haltung seiner zusammen-brechenden Kraft abgerungen; nach der Begegnung hält die Schwäche und Müdigkeit des Leibes der Energie des Geistes nicht länger stand. Er ist so unsäglich müde; die Last des Kreuzes beugt ihm die Kniee und drückt sein Haupt tief herab; es ist nicht möglich, er kann das Kreuz allein nicht weiter schleppen. Die Soldaten sehen es ein; einer ruft es laut aus der Scene heraus und fordert auf, eilig irgend jemand zur Hilfeleistung herbeizuholen; ein anderer hat schon den Simon erspäht und nöthigt den bestürzten Mann, Hand anzu-legen. Das ist eine Augenweide für die Synedristen, die mit vollem Behagen und Vergnügen es beobachten, wie der Heiland, der anderen geholfen, sich selber von einem Bauern helfen lassen muss. Ganz rathlos und verloren stehen aber zwei Büblein neben draussen — Alexander und Rufus, die Marc. 15, 21 genannten Söhne des Simon, die eben so unerwartet von ihrem Vater getrennt worden sind, von den Künstlern aber hier und im folgenden recht sinnig in die Composition hereingenommen wurden.
6. Station
Lieblich, einfach und rührend ist geschildert, wie Veronika, hier wie bei Adam Krafft von einem dienenden Mägdlein mit Kelch und Krug begleitet, dem Heiland das Schweisstuch darreicht. Der Heiland hat es dankend angenommen und gibt es verschönt durch den Abdruck seines Antlitzes der knieenden Frau zurück voll milden Dankes und sanfter Freundlichkeit. Simon liegt mit Fleiss und Eifer seinem Amt als Kreuzträger ob, nimmt aber zugleich bewegten Antheil am Liebes-werk und hat staunend auch das Wunder auf dem Tuch erblickt. Auch die Soldaten neigen zur Milde und Duldung; nur bei einem erwacht die Wildheit, er kann seinen Unwillen über die abermalige Störung nicht unterdrücken und schafft ihm Ausdruck durch drohendes Schwingen des Strickes, doch nicht, ohne gleichzeitig hilfeleistend den Kreuzesbalken zu fassen. Links schliessen wieder zwei ruhige Figuren die Scene ab, ähnlich wie in der Dürer'schen Passion meist ein Landsknecht in der Haltung eines Statisten links oder rechts die Gruppe abschliesst.
7. Station
Die Darstellung des zweiten Falles zeigt den Heiland auf beide Kniee und auf beide Arme niedergesunken; nur die linke Hand hält sich noch etwas am Kreuze, welches mit seinem Querbalken hart auf dem Boden aufgestossen ist; das Antlitz ist ergreifend müde, wie durch eine Ohnmacht verschleiert. Auch hier hält ein mitleidiger Soldat, schmerzlich ergriffen, den Hauptbalken, ein anderer aber, verdrossen über den störenden Zwischenfall, holt eben mit seinem Lanzenschaft zum Stoss gegen Jesus aus. Simon von Cyrene hält das Kreuz in der Mitte und beugt sich tiefbekümmert über Jesus herab, und neben ihm steht sein Söhnchen, die kleinen Augen mit Entsetzen gefüllt, das Antlitz in Kummerfalten des Mitleids gelegt, mit beiden Händchen am Kreuze haltend. Das Büblein wird sicher bald der Liebling der ganzen Kinderwelt werden und sie durch sein Beispiel lehren, schon in jungen Jahren andächtig den Heiland auf den Kreuzweg zu begleiten und ihm das Kreuz tragen zu helfen. Es bildet einen lieblich wirk-samen Contrast zu der ehernen Mauer des Hasses und der unver-söhnlichen Feindschaft, die hinter ihm aufsteigt; hier steht nämlich der Hohepriester mit zwei Synedristen; sie nützen den Moment der Ohnmacht und Hilflosigkeit Jesu aus und überschütten ihn mit Verwünschungen; das sind die Bluthunde, die ihn verfolgen und die am liebsten sich selber auf ihn stürzen würden.
8. Station
Nicht so gelassen, wie die Begegnung der Mutter und Veronika's, nehmen die Soldaten den dritten, durch Weiber, durch Frauen von Jerusalem verursachten Aufenthalt hin. Mit der Ungeduld erwacht die Wildheit und Grausamkeit; indem der eine am Strick zerrt, der andere den Strick schwingt, ein dritter ungeduldig den Stab erhebt, bringt ihr Zusammenspiel in die rechte Hälfte des Bildes eine wahre Wildniss und Wirrniss von Linien. Davon hebt sich majestätisch ab die Gestalt des Heilandes, der sich halb umwendet nach den vier theils stehen-den, theils knieenden Frauen mit ihren Kindern und mit erhobener Rechten seine letzte Busspredigt an sie richtet, von der die Frauen wie Simon tief ergriffen erscheinen. Der Hauptinhalt derselben ist schlicht und sprechend ins Bild hereingenommen in der Gestalt eines erstor-benen und eines grünenden Baumes.
9. Station
Der dritte Fall unter dem Kreuze zeigt Anklänge an Adam Kraffts sechste Station. Der Klimax ist künstlerisch berechnet und sehr wirkungsvoll: beim ersten Fall sinkt der Heiland auf ein Knie, beim zweiten auf beide Kniee und Arme, beim dritten bieten weder Kniee noch Arme mehr einen Halt, die ganze Gestalt liegt am Boden, nur Haupt und Oberkörper vermag sich dadurch über der Erde zu erhalten , dass er gerade noch sich mit beiden Händen auf dem Knie eines hilfsbereit herbeigeeilten Soldaten aufstützen konnte. Die Schilderung wagt viel, aber nicht zu viel: noch ist der Heiland trotz seiner jämmer-lichen Lage der malerischen und geistigen Bedeutung nach die Hauptgestalt des Bildes. Ein kleiner technischer Kunstgriff sichert ihm diese Superiorität; in der richtigen Erwägung nämlich, dass eine liegende Gestalt sich gegen stehende nur schwer zu behaupten vermöge, hat der Künstler das Körpermass des Heilands hier etwas grösser genommen. Psychologisch motivirt ist es, wenn bei diesem Fall nicht bloss die Ohnmacht des Heilandes, sondern auch die Roheit unter den Soldaten den höchsten Grad erreicht; nur kurze Zeit vermag der Anblick von Schwäche und Hilflosigkeit grobe Naturen in der Stimm-ung des Mitleids zu erhalten, dann schlägt das Mitleid gern in die Lust um, zu misshandeln und die Lage des Nebenmenschen roh auszunützen. Einer der Soldaten beugt sich herab und greift mit derber Faust in die Haare und ins Kleid des Heilandes, um ihn vom Boden aufzureissen. Doch nicht alle theilen diese Wuth, und zur Versöhnung dienen die hier wieder auftretenden Gestalten der Mutter und des Liebesjüngers; Maria hebt beide Hände im höchsten Gebetsaffect zum Himmel und fleht Erbarmen und Hilfe herab für ihren Sohn; Johannes steht tieftraurig neben ihr.
10. Station
Die zehnte Station ist eine streng gebaute Centralcomposition. Die Hauptmasse der Figuren und die eigentliche Handlung ist in die Mitte gerückt. Hier stehen vier Personen auf ziemlich gleicher Linie. Der Hauptmann befiehlt, mit der Kreuzigung voranzumachen und das Opfer zu entkleiden; zwei Soldaten legen Hand an das Gewand Jesu und haben bereits seine rechte Schulter entblösst; Er selbst steht da, von Schmach Übergossen, aber die Schmach vermag seine reine Würde und Hoheit nicht zu trüben. Rechts sehen wir einen in tiefes Sinnen versunkenen Soldaten am Boden sitzen, sichtlich damit beschäftigt, die gewaltigen Eindrücke der letzten Stunden zu verarbeiten. Links schliesst eine parallele, weibliche, knieende Figur die Composition ab, welche das Antlitz mit beiden Händen verhüllt. Man kann an Maria Magdalena denken, aber die Figur soll eigentlich keine bestimmte Person repräsentiren; sie stellt eine Büsserin vor, welche angesichts der Entblössung des Heilandes Sünden der Unschamhaftigkeit beweint und den Beschauer auffordert, dasselbe zu thun. Sie ist also die personificirte Moral des dargestellten Geheimnisses.
11. Station
Wohl die schwierigste aller Kreuzwegscenen ist die Annagelung ans Kreuz. Historisch richtig ist sie eigentlich nur einmal, von Fiesole, dargestellt worden als Annagelung an das schon im Boden befestigte Kreuz. Man musste hier davon absehen, da die Malfläche nicht die nöthige Raumhöhe zur Verfügung stellte. Noch weniger konnte die Schule sich dazu verstehen, die seit Bonaventura in Predigt und Bild übliche gewaltsame Schilderung des Hergangs sich anzueignen, bei welcher das Reissen und Zerren nothwendig den Eindruck hervor-rufen muss, als wehre und sträube sich Jesus. Den Körper aber platt auf das Kreuz hinzustrecken, ist deswegen unstatthaft, weil damit alle Möglichkeit benommen ist, in das Antlitz und die Gestalt die hier doppelt nothwendige Würde und geistige Majestät zu legen. Der Schwierigkeit ist hier dadurch begegnet, dass Jesus dargestellt ist, wie er auf dem Kreuze sitzt, seine beiden Arme ausbreitet und sie an die Schergen ausliefert und eben im Begriff ist, auch den Oberkörper aufs Holz zu legen, — eine schöne Betonung der freiwilligen Hingabe auch in diesem Momente. Der Bau dieser Composition ist dem der vorigen entgegengesetzt: hier ist der Mittelraum nur zur Hälfte ausgefüllt, mit knieenden oder liegenden Figuren, die stehenden Figuren sind auf die linke und rechte Seite vertheilt; links stehen nämlich einige Synedristen, deren Geberden Abscheu und Verwerfung ausdrücken, rechts Maria und Magdalena; die Leidensmutter ringt die Hände und klagt dem Himmel seine und ihre Noth, Magdalena blickt auf den Heiland und breitet in starkem Affect die Arme aus.
12. Station
Auch das Kreuzesbild der zwölften Station ist ganz neu componirt und weist vor den verschiedenen früheren Kreuzesbildern der Schule manche Vorzüge auf. Weil der Raum nur geringe Höhenentwicklung erlaubte, ist das überragende Ende des Kreuzes mit der Inschrift ganz weggelassen. Der Leib des Herrn zeigt die edle Durchbildung, sein Antlitz die Durchgeistigung und Verklärung durch Liebe und Opfer-sinn, wie dies nur noch Fiesole ähnlich vollkommen darzustellen vermochte. Ums Kreuz, um den verscheidenden Heiland ist ein kleiner Hofstaat von Liebe, Anbetung, Mitleid und reuiger Abbitte versammelt; die Mutter steht gross und stark da, mit ausgebreiteten Armen, ihre active Theilnahme, ihr energisches Eingehen ins Kreuzesopfer bekun-dend; nicht minder energisch weist auf der andern Seite Johannes mit beiden Händen aufs Kreuz hin, Glauben bezeugend und Glauben predigend. Es ist der grosse Moment, wo am Kreuze der Glaube und die Liebe triumphiren, wo Hohn und Spott schweigen müssen; auch die Soldaten ergreifen die Partei des Gekreuzigten, und der Hauptmann erhebt seine Rechte zur Betheuerung: wahrlich, dieser war Gottes Sohn. Der Unglaube kann sich nicht mehr halten, in seinem Sieg wird er vernichtet: der Synedrist mit seiner Gesetzesrolle flieht eiligen Schrittes von hinnen.
13. Station
Die dreizehnte Station zeigt den schon vom Kreuz abgenommenen Leichnam im Schosse der Mutter. Gross und aufrecht sitzt sie vor dem Kreuze; den Schmerz über den zerrissenen Leib ihres Sohnes überwiegt die Ehrfurcht vor der Hülle der Gottheit, vor der Würde des geschlachteten Opferlammes, vor den heiligen Wunden, den Zeichen der Erlösung. Johannes stützt knieend den Oberkörper, was in jeder Hinsicht wohlthuend wirkt. Die übrigen Personen vereinigen sich zu einer stillen, zarten Todtenfeier. Die ganze Composition gemahnt an Giotto.
14. Station
Die letzte Station hat dieselben räumlichen Bedingungen und daher dieselbe Dreitheilung wie die erste. Der Raum der Portallünette stellt den Innenraum des Felsengrabes vor; hier steht der Sarkophag mit dem heiligen Leichnam, der von Todesstarre gelähmt, von Todes-frieden gesalbt erscheint; hinter ihm sind bei der Berührung des Erdbodens mit dem unverweslichen Leichnam Blumen aufgesprosst; zwei Engel mit Kreuzessceptern und Lämpchen halten Grabeswache. Hier herrscht überirdische Ruhe und feierliche Stille; kein Erdenton stört diesen Grabesfrieden. Die linke Seite des Hauptfeldes stellt eine winterliche Gegend dar mit ganz erstorbenem Baumwerk; hier ist alles voll Schwermuth und Trauer; Johannes und die heiligen Frauen kehren wankenden Schrittes vom Grabe heim; in ihren Herzen ist auch alle Freude abgestorben, selbst Glaube und Hoffnung haben ihre Blüten abgestreift, wenn auch ihr Stamm nicht entwurzelt werden konnte.
Der Mutter droht bei diesem Weggehen das Herz zu brechen, und es ist ihr, als sollte sie umkehren, die anderen bemühen sich um sie und halten sie mit sanfter Gewalt zurück. Nur ein Paradiesvögelchen, das auf dem entlaubten Baume singt, schlägt einen froheren Ton an. Drüben aber auf der rechten Seite ist ein Paradiesesgarten; hier blühen die Bäume und grünen die Palmen; hier wehen schon Auferstehungs-lüfte; die beiden Marien sitzen dem Grab gegenüber; ihr Schmerz ist noch nicht von ihnen genommen, aber er ist ruhig und friedlich geworden; bald wird er sich in Jubel verwandeln, denn rechts oben sieht man schon den Auferstehungsengel herabschweben mit dem leuchtenden Siegesscepter des Kreuzes. So klingt das gewaltige Oratorium der Passion aus; es kann nicht mit frohlockendem Osterjubel schliessen, aber noch weniger mit dumpfen Grabesmelodien, es ver-haucht in leisen, hoffnungsfreudigen Allelujaklängen.
Eine denkende Besichtigung dieser Stationen wird erkennen lassen, dass wir hier wahre Meisterwerke religiöser Kunst vor uns haben. Die religiöse und künstlerische Auffassung der Passion im allgemeinen und jeder einzelnen Scene ist musterhaft zu nennen. Die blutige Seite der Passion ist nicht mehr hervorgehoben, als die Wahrheit der Schilderung es erfordert; der menschlichen Leidenschaft wird nicht mehr Freiheit gelassen, als sich mit der Andachtsstimmung des Bildes verträgt; überall waltet ein lobenswerthes Bestreben, nicht abschreckende Blutscenen darzustellen, sondern die innere Schönheit der Passion, die verhüllte, aber dem frommen Blick nicht verborgen bleibende milde Glorie des Mannes der Schmerzen zu betonen. Eine kraftvolle Schilderung gibt dem betrachtenden Gemüth die festen Haltpunkte; eine bis ins Mark gesunde Frömmigkeit, eine tief religiöse Grund-stimmung gibt in fast unwiderstehlicher Weise den Ton zum Beten an. Künstlerisch angesehen, sind die Compositionen, ganz entsprechend den oben dargelegten Principien, fast architektonisch streng aufgebaut, und die Formenwelt ist mehr nach den Gesetzen des Relief durchge-bildet; daneben findet sich aber ein genügendes Mass von Naturwahr-heit, von Lebendigkeit der Schilderung, von Abwechslung, Weichheit
und Rundung; nirgends unnatürliche Regungslosigkeit, byzantinische Starrheit, conventionelle Versteifung, mechanisches Nachbilden traditioneller Typen.
Dass wir den unzähligen Passionsdarstellungen aus allen christlichen Jahrhunderten, den vielen seit dem 16. Jahrhundert entworfenen Kreuzweg-Compositionen aus neuester Zeit diese Leidensbilder an die Seite stellen konnten, welche in eminent kirchlichen und monumentalen Stilformen einen so lautern und kräftigen Geist des Glaubens und der Andacht bergen, — das gereicht uns zu grosser Beruhigung und Freude und lässt uns trotz mancher trauriger Anzeichen und Erfahrungen an der Zukunft der religiösen Kunst nicht verzweifeln. Mögen diese Bilder für die religiösen Kunstbestrebungen der Gegenwart ein gutes Ferment werden; mögen sie der jetzigen und vielen künftigen Generationen in ihrer ergreifenden Sprache Jesus den Gekreuzigten predigen; mögen sie ihren Zweck an vielen erreichen, — den Zweck, der sich ausgesprochen findet in dem schönen Gebet, welches in den weit ins christliche Alterthum hinaufreichenden Märtyreracten des hl. Anreas diesem Apostel beim Anblick des für ihn bereiteten Kreuzes auf die Lippen gelegt wird:
O bona crux, quae decorem ex membris Domini suscepisti, diu desiderata, sollicite amata, sine intermissione quaesita, et aliquando cupienti animo praeparata, accipe me ab hominibus et redde me magistro meo, ut per te me recipiat, qui per te me redemit.
O theures Kreuz, das seinen Schmuck erhielt von den Gliedern des Herrn, lange ersehnt, eifrig geliebt, ohne Unterlass gesucht und nun endlich dem verlangenden Herzen bereitet, nimm mich auf von den Menschen weg und gib mich zurück meinem Meister, damit durch dich mich empfange, der durch dich mich erlöst hat.
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