Sta. Maria di Calanca · Hochaltar 1512 von Ivo Strigel

Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, dass der Hochaltar von 1512 Anfang des 18. Jahrhunderts ersetzt und an anderer Stelle (liturgisch befremdlich) aufgestellt wurde. Nach weiteren ca. 150 Jahren aus der Kirche ganz entfernt (1887) und für die Mittelalterliche Sammlung Basel erworben. Nach provisorischer Aufstellung im Conziliumssaal 1894 in das dortige neu gebildete Historische Museum aufgenommen, steht er nun im Chorraum der Barfüsserkirche zu Basel:

Altar in der Barfüsserkirche

(c) Historisches Museum Basel, Foto: M. Babey

Poeschel misst dem Altar aus der Werkstatt von Ivo Strigel höchste Bedeutung und Qualität zu. Die umfassende Beschreibung dieses Kunstwerks hier zum Download.

Auszüge:

"Der Altar ist die bedeutendste noch annähernd vollständig erhaltene Arbeit des Strigel-Ateliers und nach dem Churer Hochaltar das größte Schnitzretabel aus Graubünden. Die Marienfigur hat in ihrer freien fürstlichen Haltung nicht ihresgleichen im Oeuvre der Memminger Werkstatt.

Was die Komposition anlangt, so scheint bei der Gestaltung des Mittelstückes als schlank aufstrebendes Gehäuse der Altar von Blaubeuren (1493/94) anregend gewirkt zu haben, doch ist das Hereinziehen der Reliefszenen von den Flügeln her in das Innere des Schreines und die stufenweise Steigerung des plastischen Teiles vom Flachrelief zur vollen Modellierung nicht nur innerhalb der Produktion der Strigel-Werkstatt, sondern im Kreis der schwäbischen Schnitz-altäre überhaupt eine neue persönliche Idee. Die Durchführung des ikonographischen Programmes, das sich dem Titel der Kirche entspre-chend durchaus auf die Verehrung der Maria konzentriert, lässt eine Eigentümlichkeit erkennen: in welcher Richtung man auch die Relief-darstellungen lesen mag, horizontal oder von oben nach unten, vom Schrein aus nach auswärts oder von den Flügeln gegen die Mitte zu, es kommt in keinem Falle der historisch richtige Ablauf der Geschehnisse zur Erscheinung.

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Dagegen lässt sich deutlich beobachten, dass die Reihenfolge nach kompositorischen Gesichtspunkten geordnet ist, wenn etwa ein für die Heilsgeschichte sekundäres und daher in den kirchlichen Zyklen selten dargestelltes Ereignis wie die Beschneidung in den Kreis der Haupt-szenen im Schrein aufgenommen ist, um Gelegenheit zu haben, eine der Anbetung rein äusserlich entsprechende Gruppe um die das Kind haltende hl. Anna bilden zu können. Aber auch an Einzelzügen wird man manche kompositorische Entsprechungen, insbesondere zwischen oberen und unteren Bildgestaltungen bemerken können. Es findet also zugunsten rein formalkünstlerischer Tendenzen eine Durchbrechung des sinngemässen Ablaufs statt und darin zeigt sich schon ein über die Gesinnung des Mittelalters hinausgreifender renaissancehafter Zug. Stilistisch stellen die Skulpturen eine Weiter-bildung und zu grösserer Freiheit und Ausdrucksfähigkeit gediehene Fortentwicklung des im Altar von Igels (1506) neu in der Strigel-Werk-statt auftretenden Gestaltungsweise dar. In den Malereien sind gewisse Strigelsche Leitmerkmale, wie etwa die — besonders bei den weib-lichen Heiligen immer noch vorhandene — Streckung der Gestalten, geblieben, doch zeigt sich schon eine viel entschiedenere Plastizität und das Bestreben, den Körper vom Hintergrund frei zu machen."

"Rekonstruktion" Strigel-Altar in Sta. Maria Assunta

Lt. Poeschel wurde der Altar 1724 von seinem ursprünglichen Platz entfernt und "auf vorkragenden Balken an der Chorabschlusswand" aufgestellt. Nachfolgend 2 digitale Fotomontagen - Versuch einer Rekonstruktion:

Auf der exzellenten Website des Historischen Museums Basel findet man 6 Bilder, Eckdaten, Beschreibung und zwei höchst informative, kurzweilige Videos auf YouTube über die Entstehung des Altars:

Die Geschichte des Calancaaltars (4'45")

Das Marienleben auf dem Calancaaltar (5'46")

Diese und weitere Bilder des Altars wurden mir freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt, wofür ich sehr sehr herzlich danke.
(c) Historisches Museum Basel, Foto: M. Babey.

Altar "freigestellt"

Drei Einzelbilder: Links · Mitte · Rechts

Klick ins Bild vergrößert

(1) Die Mitte des Schreines bildet ein schlankes, schachtähnliches Gehäuse, in dem auf einem mit Laubwerk gezierten Postament die Muttergottes steht. Zu ihren Häupten schwebt unter einem Baldachin ein Reigen von Engeln, deren drei eine (nun nicht mehr vorhandene) Krone hielten, während zwei kleinere ihnen assistieren. Vor den Scheidewänden stehen auf dünnen Säulchen zwei kleine Statuetten von Propheten.

Die Kompartimente zu Seiten dieses Mittelteiles bergen in vier Nischen die nahezu vollplastischen Gruppen von szenischen Darstellungen:
(2 + 3) oben Mariae Verkündigung und die Geburt Christi mit den vom Feld herbeigeeilten Hirten;
(5 + 4) unten die Beschneidung und die Anbetung der Drei Könige.

Die Innenflächen der Flügel sind in je vier mit Laubwerk abgeschlosse-ne Felder geteilt, die in Halbrelief gleichfalls Begebnisse aus dem Marienleben schildern:
(6 + 7) links oben die Begegnung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte und die Geburt Mariae,
(8 + 9) unten die Heimsuchung und die Darstellung Christi im Tempel;
(10 + 11) rechts oben die Vermählung Mariens und ihr Tempelgang,
(12 + 13) unten der Tod der im Kreis der Apostel knienden Jungfrau, deren Seele in Gestalt eines Kindes von dem oben erscheinenden Herrn aufgenommen wird ("assumptio animae").

(14) Auf der Stirnwand der Predella als Relief die Halbfiguren Christi und der Zwölfboten.

Sämtliche Hintergründe sind golden damasziert. Auch die wenigen, der Andeutung des Raumcharakters dienenden Bildelemente wie Möbel, Architekturteile, Bäume erscheinen plastisch und nicht in Malerei. Gold beherrscht das ganze Ensemble; ausser den Fleischteilen setzen nur die Gewandfutter sparsame farbige Akzente. Fassung im Original-zustand, am Laubwerk geringe Ergänzungen.

(15) Von dem Gespreng, das nach dem Typus des Altares voraus-zusetzen ist, haben sich architektonische Teile nicht erhalten, dagegen stehen folgende, mit dem Altar von Sta. Maria erworbene Skulpturen auf dem Schrein: Eine Gruppe von sechs Heiligen zu Füssen des Gekreuzigten: St. Antonius mit Stephanus, ein jugendlicher Heiliger in vornehmem Gewand und eine weibliche Heilige mit Krug, wahrschein-lich St. Modestus und Crescentia, der Lehrer und die Amme des in Sta. Maria besonders verehrten St. Vitus; endlich St. Barbara und eine zweite gekrönte Kniende ohne Attribut. - Ferner zwei Figurenpaare: St. Johann Baptist und St.Vitus sowie St. Magdalena und Johann Evangelist; Vollfiguren. Die Festtage des Täufers sowie des hl. Vitus wurden in Sta. Maria unter Anwesenheit aller Geistlicher der Talschaft besonders festlich begangen.

    • (1) Maria

Schrein Mitte (4 Bilder)

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Schrein-Flügel

Die Innenflächen der Flügel sind in je vier mit Laubwerk abgeschlosse-ne Felder geteilt, die in Halbrelief gleichfalls Begebnisse aus dem Marienleben schildern:
(6 + 7) links oben die Begegnung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte und die Geburt Mariae,
(8 + 9) unten die Heimsuchung und die Darstellung Christi im Tempel;

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(10 + 11) rechts oben die Vermählung Mariens und ihr Tempelgang,
(12) unten der Tod der im Kreis der Apostel knienden Jungfrau, deren Seele in Gestalt eines Kindes von dem oben erscheinenden Herrn aufgenommen wird ("assumptio animae").

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Predella und Figuren auf dem Schrein

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Die Figuren auf dem Schrein

Eine Gruppe von sechs Heiligen: St. Antonius mit Stephanus, ein jugendlicher Heiliger in vornehmem Gewand und eine weibliche Heilige mit Krug, wahrscheinlich St. Modestus und Crescentia, der Lehrer und die Amme des in Sta. Maria besonders verehrten St. Vitus; endlich St. Barbara und eine zweite gekrönte Kniende ohne Attribut. - Ferner zwei Figurenpaare: St. Johann Baptist und St.Vitus sowie St. Magdalena und Johann Evangelist;

Rückseite

Von den sechs Feldern der Schreinrückwand sind die oberen drei mit Blatt- und Blumenranken gefüllt und nur die unteren figürlicher Malerei vorbehalten.
In den
äusseren zwei Kompartimenten sieht man die vier Evangelisten, weltlich gekleidet, hinter Arkaden stehen. Eine fortlaufend zu lesende Inschrift ist auf vier Bänder verteilt, die ihre Häupter umrahmen. Sie besteht aus gereimten Hexametern und lautet bei St. Matthäus: implens jus legis davit est de semine regis; bei Johannes: est incarnatum verbum de virgine natum; bei Lukas: et nece crudeli reparans dispendia celi; bei Markus: ille leo fortis confregit vincula mortis.
Deutsch: Das Gesetz erfüllend, ist aus dem Samen des Königs David das Wort Fleisch geworden, von der Jungfrau geboren und durch das grausame Sterben den verlorenen Himmel wiedergewinnend, zerbricht jener starke Löwe die Fesseln des Todes."

Das Mittelfeld nimmt ein Engel ein mit einer Schriftrolle, auf der (unter Auflösung der Abkürzungen) zu lesen ist: Post annos mille • quingentos • bisseno currente • hoc opus ut cernitur • hiis edibus sacris aptatur manu ac industria yvonis • cognomine strigel / insignis opidi memingen • quod cesari subest / concivis ac incole • Michahelis principis almi / profesto • qui tutor huius machine esse dignetur.
Deutsch: „Im Jahre 1512 wird dies Werk, wie man es (hier) erblickt, diesem heiligen Bau eingefügt durch Hand und Fleiss des Yvo mit Namen Strigel, Bürger und Einwohner der ausgezeichneten Stadt Memmingen, die dem Kaiser Untertan ist, an der Vigil des hehren Fürsten Michael, der Schutzherr dieses Kunstwerkes sein möge."

Die vier Evangelisten · Altar-Widmung

Altar-Flügel

In den vier Feldern jedes Flügels erscheinen unter lachsfarbenen Arkaden vor goldenem Grunde Einzelgestalten, und zwar auf dem linken Flügel weibliche und auf dem rechten männliche Heilige. Ihre Namen stehen in gotischen Minuskeln jeweils unten auf einem Schriftband.

Dargestellt sind in geöffnetem Zustand, von hinten gesehen:
links:
(25 - 28) St. Martin, Bernhard, Nikolaus und Modestus
rechts: (29 - 32) St. Barbara, Katharina, Apollonia und Dorothea

Bei geschlossenem Altar links & rechts zu vertauschen (s.u.)

Einzelbilder

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Die Aussenseiten der Flügel wurden, wie H. Reinhardt feststellte, bei der Neuaufstellung in Basel unrichtig zusammengesetzt, so dass bei geschlos-senem Altar die Figuren des einen Flügels denen der andern den Rücken zuwenden. Vermutlich ist St. Bernhard und Martin mit St. Dorothea und Apollonia auszutauschen, doch wäre auch eine paarweise Zusammenstellung von männlichen und weiblichen Heiligen denkbar.

Altar geschlossen (Fotomontage)

Impressum

Bilder des Hochaltars mit freundlicher Genehmigung vom Historischen Museum Basel.
Fotos (c) M. Babey - Bearbeitet, Ausschnitte etc. Andreas Keller
Auf www.kirchen-online.com veröffentlicht am 04.04.2020 SDG
(c) 2020 Foto-Kunst Andreas Keller.

Links zuletzt überprüft am 06.05.2022

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