Mittelstadt · Martinskirche

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Allgemeine Hinweise, Links

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"Die Mittelstädter Martinskirche wurde im Jahr 1912 von dem überregional bekannten und geschätzten Architekten Martin Elsässer erbaut.
Sie besticht durch ihre kontextuelle Architektur. Die bäuerliche Struktur des Orts fand in der Gestaltung der Kirche ihren Niederschlag, ohne dass der sie prägende Jugendstil darüber verloren gegangene wäre.
Besonders erwähnenswert ist die Rosette im Chorraum und das aus dem frühen 17. Jahrhundert stammende Kruzifix.
Seit 1998 schmücken 5 neue Glocken den Mittelstädter Kirchturm. Der Glockenbeauftragte der Ev. Landeskirche in Württemberg Herr Claus Huber bezeichnete das Mittelstädter Geläut als das schönste Dorfgeläut Württembergs."
Quelle: Website der Kirchgemeinde

Martin Elsaesser (* 28. Mai 1884 in Tübingen; † 5. August 1957 in Stuttgart) war ein deutscher Architekt und Hochschullehrer, der besonders durch eine Vielzahl von Kirchenbauten bekannt wurde.
Quelle: Wikipedia, dort Lebenslauf und Werkverzeichnis (in Stuttgart zahlreiche bedeutsame Bauwerke), sowie Hinweis auf die Martin-Elsaesser-Stiftung (siehe rechts).

Über die Kirche gibt ein sehr schön gestaltetes Buch Auskunft "Mittelstadt - Eine Kirchenchronik", sowie aus jüngster Zeit die Broschüre "100 Jahre Martinskirche Mittelstadt · 1912 - 2012" mit vielen interessanten Artikeln..
Aus beiden Publikationen wird nachfolgend zitiert, insbesondere (herzlich dankend für die freundliche Genehmigung) aus der "Stillen Predigt" - 7 Meditationen zur Martinskirche, die Pfarrerin Gerlinde Henrichsmeyer für die 100-Jahre-Broschüre verfasst hat.

Schon 1907 wurde Martin Elsaesser als Berater des Vereins für Christliche Kunst mit Entwürfen für einen Kirchenneubau in Mittelstadt betraut. Doch erst 1910 entschieden sich die Einwohner für die Errichtung einer Steinkirche durch Elsaesser. An Stelle der alten Martinskirche schuf er eine einschiffige Saalkirche mit 500 Sitzplätzen, die am 20. Oktober 1912 eingeweiht wurde. Sie hat an der westlichen Schmalseite einen rechteckigen Altarhausanbau, während die gegenüberliegende Seite polygonal abschließt. Hier liegt der Haupteingang der Kirche über dem sich im Inneren eine Empore befindet. Daran schließt südlich eine Längsempore.
Auf dieser Seite befindet sich auch der Turm, der sich mit dem Sakristeivorbau verbindet. Insgesamt erzielt die Architektur mit dem vorspringendem Turm, einem Vorbau für das Sakristeiportal, extra Treppentürmchen und halbhohen Strebepfeilern eine malerische Wirkung. Der Turm wechselt im Glockengeschoss vom quadratischen Grundriss in ein Oktogon. Dazu kommt bauplastischer Schmuck (Bildhauer: Daniel Stöcker), der bei der Martinskirche relativ reich ausgebildet ist. Im Innenraum wird mit den hölzernen Emporen, ornamental bemalten Balken und Trägern sowie der kassettierten Holzdecke der Eindruck eines Schiffbauchs erzeugt. Dennoch sind einige Ausschmückungen, farbige Glasscheiben und die Wandbilder der vier Evangelisten nicht mehr erhalten. 1975 wurde die Martinskirche im Inneren und 1982 im Äußeren renoviert. Zum hundertjährigen Jubliäum fand 2012 eine umfassende Restaurierung statt.
Quelle: Martin-Elsässer-Stiftung

Informationen auf www.kirchbau.de

Außen

    • Blick von Südwesten

    • Meditation 1 - Gesamteindruck:

      Die Martinskirche in Mittelstadt ist weithin sichtbar auf der Höhe für alle, die vom Neckartal herkommen. Sie wurde 1912 von Architekt Martin Elsässer (1884-1957) als Steinkirche geplant und erbaut und ist ein besonderes Kleinod, eine Jugendstildorfkirche. Die Martinskirche steht auf dem Grund der Vorgängerkirche.
      Spannend ist jedoch, dass man die neue Kirche über das Hauptportal auf der Ostseite betritt. Üblicherweise befindet sich hier der Chor. Architekt Elsässer hat sich anders entschieden und der Kirche eine Westausrichtung gegeben, vermutlich wegen der Lage.

    • Blick von Osten

    • Blick vom Neckar (nordwestlich) zur Kirche

    • Johannes der Täufer (Daniel Stocker)

      (Meditation 1, Fortsetzung)

      Umrundet man die Kirche außen, finden sich drei Steinhauerarbeiten des Bildhauers Daniel Stocker. An der Westseite, zum Neckar hin ist Johannes der Täufer dargestellt über einem Rosettenfenster, dessen Mitte ein Steinkreuz bildet. An der Südostecke des Turmes findet sich St. Martin, seinen Mantel für einen vor ihm knienden Bettler teilend. Er ist der Schutzpatron der Kirche und symbolisiert die tätige Nächstenliebe. Über dem Hauptportal ist ein Pelikan mit seinen Kindern zu sehen. Der Pelikan ist seit alters ein Symbol für Jesus Christus, weil er für seine Kinder bereit ist das eigene Leben hinzugeben, er ritzt sich die Brust auf und nährt seine Kleinen notfalls mit dem eigenen Blut.

    • Johannes der Täufer

    • Grabmale an der Nordwand außen

    • Steinsäule am Sakristei-Eingang

      Früher hatte sie die Außenstiege zur Emporkirche getragen. Das schöne Stück wird dem Mittelstädter Steinmetz Hans Hering zugeschrieben. Dieser hatte schon eine Maske am Gasthaus zur Krone gemeißelt. Die Säule wird auf 1615 datiert. Etwa 1,80 m hoch ist das ganze Werk. Die Basis ist verhältnismäßig hoch; an ihren Seiten sind in flachen Reliefs florale Rosetten und eine Maske - ähnlich jener an der Krone — herausgearbeitet. Über den verschieden profilierten Schaftringen schließt die Säule mit einem jonischen Kapitell ab.

    • Turmecke - Der heilige Martin auf dem Pferd (Daniel Stocker)

    • Der heilige Martin (Mantelszene)

      West-Wand

    • Haupteingang (Ost)

      (Meditation 1, Abschluß)

      So predigt bereits diese bauliche Anordnung, dass von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang das Leben der Menschen im Licht der Liebe Jesus Christi steht. Denn unter dem Pelikan hindurchgehend betritt man die Kirche und erblickt dann sofort das Rosettenfenster im Chor das durch ein Stein-Kreuz ohne Korpus in vier Teile gegliedert ist. Das Kreuz in der Rosette weist auf die Auferstehung Jesu hin und gerade nachmittags um die Todesstunde Jesu wird es in Licht getaucht und predigt gegen die Finsternis des Todes das ewige Leben in der Liebe Jesu Christi. Das florale Muster des in den warmen Farben gelb, braun und orange gehaltenen Glasfensters weist mit seiner Blütenpracht auf die Schönheit des Lebens, die Schöpfung Gottes und das Paradies im neuen Leben nach dem Tod hin.
      Die Gottesdienstbesucher verlassen die Kirche wieder in östlicher Richtung und gehen dort in das aufgehende Licht.

    • Pelikan, seine Jungen mit dem eigenen Blut nährend (Daniel Stocker)

    • Glocken im Kirchgarten

    • Alter Brunnen im Kirchgarten

Innen (Überblick)

    • Meditation 2 - Kirchenschiff

      Betritt man die Martinskirche, meint man, in den Bauch eines Schiffes zu treten. Der Begriff Kirchenschiff wird hier durch die reiche Verwendung von Holz fast wörtlich. Das Tonnengewölbe mit den Holzkronleuchtern verstärkt diesen ersten Eindruck ebenso wie die umlaufenden Holzpaneele an der Emporenbrüstung.
      Unwillkürlich denkt man an die zahlreichen biblischen Geschichten, in denen Schiffe eine wichtige Rolle spielen.
      Da ist die Arche, der viereckige Kasten, der Noah und die Seinen samt dem Getier vor dem durch eine übermächtige Flut drohenden Untergang rettet und ihnen am Ende einen neuen Anfang erlaubt. Dieses Urbild für Rettung und Sicherheit inmitten von tobenden Naturgewalten um einen herum, predigt das Kirchenschiff der Martinskirche dem Besucher. Dann ist da natürlich auch die Geschichte von der Stillung des Seesturmes. Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs auf dem See Genezareth, dessen Fallwinde gefürchtet waren und schläft ruhig im Heck des Schiffes, während seine Jünger, viele erfahrene Fischer, sich mit dem Wind und den Wellen und dem aufkommenden Sturm abkämpfen und in Angst und Not schließlich Jesus wecken und um Hilfe bitten.
      Jesus beruhigt die Natur durch ein Wort und ermuntert die Jünger doch mehr auf ihn und Gottes Kraft zu trauen, inmitten der Stürme dieses Lebens. Auch von dieser Geschichte predigt der Kirchenraum. Der Besucher wird aufgenommen und fühlt sich inmitten des Schiffes durch das viele Holz, das dem Raum ein warmes Gepräge gibt, sicher und aufgehoben und kann mit dem Lied von Martin Gotthard Schneider von 1963, EG 595, singen: „Euin Schiff, das sich Gemeinde nennt“…

    • Blick von der Ost-Empore

Fensterkreuz · Crucifix · Kanzel, Taufstein, Chordecke

    • Fensterkreuz (Westwand)

    • Meditation 7 - Kruzifix

      Auffallend, weil ungewöhnlich, ist das Kruzifix platziert. In einer schmiedeeisernen Arbeit von Schlossermeister Schairer ist das alte Kruzifix aus der Vorgängerkirche am Chorbogen hängend über dem Altar angebracht. Goldene Strahlen künden über dem schmerzvoll gestalteten Gesicht der Christusfigur davon, dass Jesus als Sieger aus dem Kreuzestod hervorging. Trotz schmerzverzogenem Korpus wirkt die Figur majestätisch auf den Betrachter und die Arme wirken einladend und segnend und stark zugleich, obwohl sie doch am Marterwerkzeug Kreuz fixiert sind. Über den Schöpfer der Christusskulptur ist leider nichts bekannt (vgl. „Mittelstadt - eine Kirchenchronik", Kurt Müller, S.138f.). Der gekreuzigte und zugleich auferstandene Christus, wie er seit 1912 über dem Altar hängt, lässt klar werden, wer an diesem Tisch Gastgeber ist und gegenwärtig. Seine Liebe will stärken, sättigen und vergeben, allen, die zu ihm kommen.

      Ans Kreuz geschlagen weist er über den Tod hinaus und in der Kombination mit der Fenster-Blumenrosette im Hintergrund und dem auf Pflanzen getragenen Kreuz leuchtet die Hoffnung auf das Paradies und die Ewigkeit Gottes als klare Botschaft auf.

    • Kanzel

    • Kanzelfuß

    • Taufstein

    • Kasettendecke im Chor - links

    • Kasettendecke im Chor - Mitte

    • Kasettendecke im Chor - rechts

Innen (Blick nach Osten) · Emporenbilder

    • Meditation 3 - Emporenbrüstung

      Die Emporenbrüstung der Martinskirche trägt eine Vielzahl von Bildtafeln. Meistens sind es die für die Zeit des Jugendstils typischen floralen Muster. Keine der stilisierten Pflanzen oder Blumen ist wie die andere. Die bunte Vielfalt erinnert an den Artenreichtum der Schöpfung. Alles was Odem hat lobe den Herrn!
      Gott als der Schöpfer des Himmels und der Erde, als Schöpfer von Tieren und Pflanzen und Menschen kommt in den Blick. Der Schriftzug unter den Bildflächen: Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, unterstreicht dies. Dazwischen befinden sich mehrfach Hinweise auf Jesus Christus.
      Einmal in der Darstellung der griechischen Buchstaben X (Chi) und P (Rho), die für Christus stehen.
      Dann natürlich besonders in der Tafel vom springenden Hirsch.
      Es ist ein altes Motiv und symbolisiert die gottsuchende Seele, wie es in Psalm 42,2, heißt „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele zu Gott."
      Eine zweite Wurzel geht in eine andere Richtung. Der Hirsch gilt auch als Feind der Schlange: Der Hirsch treibt sie mit ausgespieenem Wasser aus dem Versteck und tötet sie, wie Christus den Teufel mit dem Himmlischen Wasser seiner Lehre tötet.
      Und natürlich fehlt auch nicht ein Bild mit Taube(n). Die Taube ist das Symbol für den Heiligen Geist.
      So sprechen die einfachen Emporenbilder von der Trinität und erinnern an Gott, den Vater und Schöpfer, Jesus Christus seinen Sohn und seine Kraft des Heiligen Geistes.

Emporenbrüstung Bilder (v.l.n.r.)

 

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Die neue Orgel (Reinhart Tzschöckel · 1975)

Informationen zur Orgel

Seit den sechziger Jahren zeigten sich nun an unserer Orgel zunehmende Alterungserscheinungen, vor allem an der Traktur und an den Ventilen: die kleinen Lederbälgchen, die die Windzufuhr regeln, waren fast alle allmählich spröde und brüchig geworden; auch waren Teile des Holzwerks vom Holzwurm befallen. Nach einigen kleineren Reparaturversuchen stellte sich heraus, daß eine gründliche Abhilfe nur durch eine Generalüberholung unter Abbau der gesamten Orgel mit Austausch aller Ventile und Bälgchen zu schaffen wäre. Eine klangliche Verbesserung wäre dabei allerdings nur in begrenztem Umfang möglich gewesen. Als dann die Orgel im Winter 1972/73 mehrmals ausfiel und nur mit Mühe und notdürftig wieder spielbar gemacht werden konnte, entschloß sich der Kirchengemeinderat auf Anraten der Sachverständigen hin zu einem Neubau entsprechend den heutigen klanglichen Vorstellungen und orgelbautechnischen Möglichkeiten.

Die Hoffnung auf die tatkräftige Mithilfe der Gemeinde war nicht vergebens. Die Erträge mehrerer Gemeindeveranstaltungen, die Beiträge des zu diesem Zweck gegründeten Orgelbauvereins, vor allem aber die vielen großen und kleinen Opfer und Spenden aus der Gemeinde haben die damalige Entscheidung gerechtfertigt und die Überschreitung der ursprünglich ins Auge gefaßten Auftragssumme von 60-70000 DM möglich gemacht.

Das Instrument hat 17 Register (Pfeifenreihen gleicher Klangfarbe) mit insgesamt 1218 klingenden Pfeifen aus Holz oder Metall, deren kleinste nur wenige Zentimeter, deren größte (C Untersatz 16') etwa zweieinhalb Meter lang ist.

Die Register sind auf drei verschiedene, baulich getrennte und klanglich unterschiedlich charakterisierte „Werke" aufgeteilt, die von den zwei Manualen und der Pedalklaviatur aus angespielt werden können (Disposition auf der gegenüberliegenden Seite).

Die Orgel hat Schleifladen mit mechanischer Spieltraktur, die die Verbindung vom Spieltisch (an der linken Seite des Altarraums) zum Pfeifenwerk (auf der darüberliegenden Seitenempore) herstellt. Die Registertraktur ist elektrisch mit zwei freien Kombinationen und einer zusätzlichen freien Pedalkombination.

Freie Kombinationen und Organo Pleno in Wechselwirkung von Drücker und Piston; Normalkoppeln in Wechselwirkung von Knopf und Piston; Einzel-Zungenabsteller; „Tremolo ab" als Piston. Die Geschwindigkeit der Tremulanten ist vom Spieltisch aus stufenlos regulierbar.

Hauptwerk und Pedal (außer Prinzipal 8' im Prospekt) sind durch einen Jalousie-Schweller in der Lautstärke veränderbar. Umfang der Manuale C-g’’’, Pedal C-f

Disposition: Kirchenmusikdirektor Edgar Rabsch, Ulm

Entwurf und Ausführung: Orgelbaumeister Reinhart Tzschöckel, Fautspach, in Zusammenarbeit mit Architekt Dipl.Ing. Johannes Wetzel, Stuttgart.

Quelle: "Mittelstadt : kirchliches und religiöses Leben in unserem Ort / zusammengest. von Kurt Müller" 1993 (zur Orgel: S. 213 -217)

Disposition

Hauptwerk (I. Manual)

Positiv (II. Manual)

Pedal

1. Prinzipal 8' (im Prospekt)

2. Koppelflöte 8' *)

3. Italienische Oktav 4'

4. Sesquialter 2fach 2 2/3’ + 1 3/5'

5. Spitzflöte 2' *)

6. Mixtur 4fach 2'

- Gruppenzug Kornett 5fach 8'

- verstellbarer Tremulant

7. Gedackt 8'

8. Rohrpfeife 4' (im Prospekt)

9. Prinzipal 2'

10. Quinte 1 1/3'

11. Zimbel 3fach l'

12. Musette 8'

verstellbarer Tremulant

13. Untersatz 16' *)

14. Flötenbaß 8' *)

15. Choralbaß 4' *)

16. Rauschpfeife 3fach 2' *)

17. Trompete 8'



*) Die Pfeifen dieser Register wurden zum Teil aus der alten Orgel übernommen und umgearbeitet.

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Epitaph an der Nordwand

An der Nordwand unserer heutigen Kirche hängt zwischen den Fenstern ein in stark nachgedunkelten Farben gefaßtes Schnitzwerk mit verschiedenen Bild- und Schrifttafeln. Es ist von Pfarrer Elisäus Gerlach (1672-1704) und seiner Ehefrau Juliana, Margaretha, gestiftet zum Gedächtnis ihrer 9 verstorbenen Kinder. Von 11 Kindern blieben nur 2 am Leben. Die Todesursache der 4 Töchter und 5 Söhne ist nicht bekannt. In vielen Städten und Dörfern war es Brauch, daß Angehörige aus Adel, Klerus und wohlhabendem Bürgertum für ihre verstorbenen Eltern und Geschwister Erinnerungstafeln zum bleibenden Gedächtnis stifteten, teilweise in so großer Zahl, daß kaum die freien Wände dafür ausreichten. Derartige Hängeepitaphien bildeten zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert wichtige Bestandteile sakraler Kunst und Ausschmückung. Noch 1817 berichtet ein Pfarrer von über 50 Epitaphien, die in der Uracher Amanduskirche aufgehängt waren. Bei allem nachträglichen „Mit-Leid" gegenüber der damaligen Pfarrfamilie ist es sehr interessant, das barocke Erinnerungsmal genauer zu betrachten und zu durchwandern. Zuoberst ist ein in Halbrelief geschnitzter Engelskopf aufgesetzt. Er ruht in einem ornamentalen Band, dessen aufgeschwungen Enden als Flügel gestaltet sind. Seitliches Rankenwerk faßt ein ovales Schild mit dem Doppelwappen der Stifterfamilie auf grauem Grund. Des Pfarrers Wappen wird von einem diagonal verlaufenden Goldband in 2 Felder geteilt Auf ihm ist ein Stab dargestellt, einem Szepter ähnlich. In die beiden freien Flächen ist je ein Granatapfel aufgemalt. (Das antike Symbol der Unsterblichkeit wird in der christlichen Kunst als Auferstehungssymbol übernommen.) Als Helmzier thront eine Halbfigur mit breitkrempigem Hut, in der linken Hand ein Kreuz (Christus mit dem Auferstehungskreuz?). Das Wappen der Pfarrfrau Juliana, Margare- tha Camerarien (Camerer) zeigt auf Goldgrund einen mähenden Mann mit roter Kniehose, weißem Hemd und flacher Mütze. Die Helmzier besteht aus stilisierten floralen Formen, in der Mitte eine weiße Blume. Juliana, M. Gerlach, geb. Camerer stammte aus einer in Reutlingen und Tübingen seßhaften Familie mit hohem Ansehen. Eine Reihe männlicher Sprosse sind dort als Ärzte und Advokaten bekannt gewesen.

Weit vorspringendes, gekröpftes Gesims schließt den oberen Teil ab; in der Mitte droht ein dämonisches Gesicht. In dem darunter liegenden Gesimsfeld steht lateinisch – deutsch:

Symbolum: Amor (?) Jesus
Liebster Jesu ich lieb dich
der du leydest den Tod für mich

Zwischen 2 gewundenen Säulen, umrankt von Birnen tragenden Zweigen, ist das Hauptbild eingesetzt. Die Säulenbasen sind je mit einem Engelskopf verziert, jonische Kapitelle schließen sie oben ab. Geschnitzte Ranken und Voluten schließen das „Hauptgeschoß" nach den Seiten ab. Das Hauptbild-Motiv stellt eine biblische Szene aus dem Buch der Könige, 2. Kapitel 9, 13, dar: Zwischen hohen Stämmen mit dichtem Laub kniet Elisa in halber Rückenansicht, barhäuptig, beide Arme in bittendem Gestus nach oben reckend.

Über seinem roten Unterkleid wallt stark gefaltet das Oberkleid. Die ganze Figur wendet sich einem dramatischen Geschehen im Hintergrund zu. Dort fährt in einem flammenden Feld der Prophet Elia auf einem von 2 Pferden gezogenen feurigen Wagen „im Wetter gen Himmel." Vor Elisa fällt der Elia entfallene Mantel zur Erde.

Sicher ist die Auswahl gerade dieses Motivs der Namensentsprechung von Elisa und Elisäus zu verdanken. Pfarrer Elisäus Gerlach wird wohl gleich seinem biblischen Namensbruder im Propheten Elia „den Wagen Israels" gesehen haben.

In der Landschaftsvedute im Hintergrund sind nur vage Andeutungen von Hügeln und einem See erkennbar. Wir kennen den Maler des etwas ungelenk und derb dargestellten Motives nicht, können aber vielleicht annehmen, es stamme von einem Meister aus der Umgebung (schon 1569 führte ein Jakob Salb in Reutlingen solche Aufträge aus).

Unter dem Gebälk der Konsolzone für das Hauptbild ist die eigentliche Gedächtnistafel der Stifterfamilie eingesetzt. Dem gängigen Schema folgend werden links, mit dem Vater beginnend, die männlichen Familienglieder aufgeführt, rechts entsprechend die weiblichen. Über den in zeitgenössischer Kleidung Dargestellten sind steil nach oben die Namen zu lesen. Den bereits verstorbenen Kindern liegt ein Totenkopf zu Füßen, und auf die Brust ist ein rotes Totenkreuz gemalt. So ist die traurige Ernte des Todes abzulesen:

M. Elisäus Gerlach, Pfarrer, Samuel Rudolph +, Johann Rudolph +, M. Samuel, Philipp Ulrich +, Johann Carl +, Johann Christoph, Elisäus +; Juliana Margaretha Camerarien, Susanna Sara +, Juliana Catherina +, Juliana Catherina +; Juliana Catherina +;

Auffallend ist, daß die 3 jüngsten Töchter den gleichen Namen tragen. Die jeweils nachgeborene wurde nach der vorausgehend verstorbenen Schwester getauft. Auf einem umrahmten Schild steht in goldener Schrift: „Dieses Epitaphium stiften Gott zu Ehren und ihren seligen Kindern so auf dem Kirchhof allhier begraben liegen. Zum Angedenken M. Elisäus Gerlach, Pfarrer zu Mittelstadt neben seiner Hausfrau Juliana Margaretha Camerarien von Reutlingen. Den 8. Martij 1688."

Ein Engelskopf - ähnlich dem oberen - schließt das fünfgeschossige Epitaph nach unten ab. Alle Sichtkanten an Ornamenten und Kanten sind vergoldet. Mit diesem Bildwerk ist ein Teil der alten Kirche auch in der neuen lebendig geblieben.

Quellen:
1. Dekanatsarchiv Urach
2. Pfarrbeschreibungen 1827, 1832, 1833, 1869, 1905
3. Friedrich Schmid: Die Amanduskirche in Bad Urach
4. Sechs, Badstüber, Neumann: Christliche Ikonographie

.Meditation 5 - Epitaph

In 2. Könige 2,1-18 wird geschildert wie Elia entrückt wird und Elisa seine Nachfolge antritt. Diese Szene ist auf diesem Ausschnitt des Epitaphs dargestellt.

In der Zeit, aus der das Epitaph stammt, war der Tod für die Menschen eine ständige Bedrohung. Dass der Gottesmann Elia nicht einfach stirbt, sondern mit einem von feurigen Rossen gezogenen Feuer-Wagen geradewegs in den Himmel gefahren wird, ist ein Hoffnungsbild für die Menschen. Die Toten sind nicht einfach nicht mehr an unserer Seite, sie sind in Gottes Welt wie Elia. Der Tod ist nur wie eine Reise mit dem Feuerwagen. Das Ziel ist Gottes ewiges Reich. Der Abschnitt aus dem 2. Buch der Könige schildert anschaulich wie schwer sich Elisa damit tut zu akzeptieren, dass für Elia die Zeit zu sterben gekommen ist. Elisa lässt ihn keine Minute mehr allein, als ob er Elia so bei sich behalten könnte. Elia und Elisa wissen, dass sein Leben und sein Auftrag erfüllt sind und „Der Herr will Elia holen" und etliche Prophetenschüler sagen dies auch frank und frei zu Elisa, der es nicht hören will. Elisa möchte sich nicht von Elia trennen und weicht ihm nicht von der Seite. Elia möchte Elisa in Gilgal zurücklassen und geht nach Bethel, dann nach Jericho, dann an den Jordan, immer mit dem Hinweis: Bleib du zurück ich habe einen Auftrag. Jedesmal möchte Elia Elisa zurücklassen, aber der weicht nicht von ihm.

Am Jordan teilt Elia wie einst Mose mit seinem Mantel das Wasser, ein Zeichen seiner Nähe und Verbundenheit mit der Kraft Gottes und die beiden gehen trockenen Fußes hinüber, während 50 Prophetenjünger von ferne zusehen.

Elisa hat Angst ohne seinen Lehrer, seinen Mentor, zurückzubleiben und Elia spürt es und lässt Elisa eine Bitte äußern bevor er von ihm genommen wird. Elisa bittet um Anteile von Elias Geist, was nicht allein in Elias Hand steht. Der tröstet ihn damit, dass er zusehen dürfe wie er weggenommen werde und dabei vielleicht von Gott damit beschenkt wird. Sie gehen miteinander und reden und dann kommt ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die Elia mitnehmen und Elisa von ihm trennen und Elia fährt im Wetter gen Himmel. Elisa bleibt voller Schrecken und ihm nachschreiend zurück „Mein Vater, mein Vater, du Wagen Israels und sein Gespann!" Wir sehen dies im Rückenbild im Epitaph, wie er hinter Elia her schreit und die Arme nach ihm ausstreckt. Er fasst daraufhin seine Kleider und zerreißt sie in zwei Stücke, Zeichen der Trauer. Dann hebt Elisa Elias Mantel auf, der noch immer die Kraft Elias hat und auch bei Elisa das Wasser teilt; für die Umstehenden und wohl auch für Elisa selbst ist dies das Zeichen, dass nun Elisa den Geist Elias bzw. Gottes hat und dessen autorisierter Nachfolger ist, trotzdem suchen sie noch drei Tage lang nach Elia bis sie unverrichteter Dinge zurückkehren und die Suche aufgeben und Elias Himmelfahrt anerkennen. Im Epitaph kommen Trennungsschmerz und Hoffnung auf ein ewiges Leben in Gottes Welt gleichermaßen

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Epitaph - Einzelbilder

Impressum

Reutlingen-Mittelstadt · Martinskirche fotografiert am 29.06.2008 + 13.03.2014
Auf www.kirchen-online.com veröffentlicht am 06.02.2015
(c) 2015 Foto-Kunst Andreas Keller
Links zuletzt überprüft am 25.02.2024

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