Stgt-Uhlbach · Andreaskirche - 6 · Decke Schiff
6 · Vorbemerkung
Die Decke im Schiff - eines der bestimmendsten Merkmale der Andreaskirche in der Neufassung von Heinrich Dolmetsch - gibt manche Rätsel auf (und ist fotografisch schwierig darzustellen).
Im Christlichen Kunstblatt von 1896 wird sie folgendermaßen beschrieben:
Das Schiff selbst hat eine hochgesprengte Holzdecke erhalten, welche warm haltend und akustisch günstig zugleich für künstlerische Darstellungen (wie die vorhergehen-den von der Hand des Kunstmalers Bauerle) ein sehr geeignetes Feld darbot. Hoch oben am Scheitel zieht sich eine breite blaue Bahn das ganze Schiff entlang, ge-schmückt von Sternen und den Zeichen des Tierkreises versinnbildlicht sie das Him-melsgewölbe. An den Deckengurten rankt sich Rebengewinde empor und dazwischen erscheinen als „Reben am Weinstock“ in Lasurfarben gemalt die Vollbilder der zwölf Apostel und die Brustbilder der christlichen Tugenden mit entsprechenden Abzeichen und Sprüchen:
Die Wahrheit: Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit Eph. 4, 25
Die Gerechtigkeit: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit
Matth. 5, 26
Die Weisheit: Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang Psalm 111, 10
Die Freude: Freuet euch in dem Herrn allewege Phil. 4, 4
Der Fleiß: Ringet darnach, daß ihr stille seid und das Eure schaffet 1 Thess. 4, 10
Der Glaube: Stehet im Glauben, seid männlich und stark 1 Kor. 16, 13
Die Liebe: So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung Röm. 13, 10
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Das Foto links wurde von Holger Schneider ( © 2014 ) mit einer speziellen Linse "Fisheye / Fischauge" gemacht. Dadurch sind 4 der 5 Gurtbögen in einem Bild zu sehen. weiter unten finden Sie aus mehreren Teilfotos zusammengesetzte Übersichten.
6.1 · Die Decke insgesamt - Theologische Anmerkungen
12 Apostel - 10 Tugenden - 12 Tierkreiszeichen sind die entscheidenden Elemente der Decke. Keine Antwort habe ich gefunden auf die Frage "wie man diese Decke lesen soll": von vorne nach hinten oder umge-kehrt, Nordseite zuerst, dann Südseite etc. Alle Varianten lassen sich nicht durch vorgegebene Abläufe belegen.
Im Schema links sind alle 34 Bestandteile eingetragen, in den Fotos darunter Darstellung der Teilbereiche. Diesen liegt eine Fotomontage aus diversen Einzelbildern zugrunde. Schwierigkeiten ergaben sich insbesondere bei den Feldern über der Orgel, die eine Gesamtsicht dieses Deckenteils unmöglich macht.
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Die auf den Gekreuzigten ausgerichtete, von ihm beherrschte Bilder-welt der Holzdecke stellt den geistigen und natürlichen Kosmos dar: die Kirche in den Gestalten der Apostel, das christliche Volk in den Tugenden, die Natur in den Reben und das Universum in Sonnen, Sternen und Sternbildern. (FE)
Die protestantische Kirche und Ikonographie löst sich mit der Refor-mation von den alten ikonographischen Regeln, insbesondere in Württemberg, wo statt der lutherischen Sakralraum-Ausrichtung auf den Altar als Ort des Abendmahls (Mess-Typus der lutherischen Liturgie) sich bei uns die Kanzel als Ort der Wortverkündigung ("ober-deutscher" Predigtgottesdienst, singulär in der EKD) herausgebildet und zum Kirchbautypus der "Querkirche" geführt hat. Diese Linie wurde durch das Eisenacher Regulativ von 1861 auch in Wttbg. wieder verlassen und hat zum Kirchenbau von Leins, Dolmetsch etc. geführt. Die Ikonographie der Jahre bis zum 1. Weltkrieg hat sich dem aber nicht konsequent angepasst , sondern ist eigene Wege gegangen - siehe Bauerle.
Bauerle ist in allem sehr stark biblisch geprägt. Seine " Tugenden"-Auswahl ist dementsprechend eklektizistisch und stimmt in der Gesamtheit mit keinem der "Tugendkataloge" überein.
Die Bildfolgen "Tierkreiszeichen" als Symbole für die Ordnung des Kosmos haben in ihrer jahreszeitlichen Anordnung m.E. nichts mit den nach unten entfernt liegenden Tugend-Darstellungen zu tun, sodass ich auch keine Zuordnungsmöglichkeit zwischen den Tugenden und dem Kosmos sehe. Auch wäre eine innere Beziehung zwischen Tugend- und Aposteldarstellung wohl eher zufällig.
Vielleicht kann man die Uhlbacher Bilderwelt (wozu ja auch noch die alten wie "neuen" Fenster gehören) in die bei der Degerlocher Ikonographie erwähnte Dreiteilung "Gottesreich der Natur, der Gnade und der Herrlichkeit" aufteilen: 1. Reich der Natur mit Himmelsgewölbe, 2. Reich der Gnade mit dem Gekreuzigten am Chorbogen einschließlich der nicht mehr vorhandenen, aber im Text erwähnten Medaillons Lamm/Paradies, 3. Reich der Herrlichkeit mit Chorgewölbe (Verheißung der Propheten) und Chorfenster (Auferstehung = Erfüllung der Verheißung) im Chorschluss; die Apostel plus Tugenden im Schiff wären dann dem Reich der Natur bzw. irdischen Wirklichkeit zuzuordnen. (UZ)
6.2 · Die Decke - 12 Apostel
Die Namen der 12 Apostel werden im NT viermal genannt. Eine umfangreiche Darstellung finden Sie auf kirchen-online.org. Nur in der Apostelgeschichte (Kap. 1, 13 + 26) wird als 12. Jünger (anstatt Judas Ischariot) Matthias genannt. Die Reihenfolge in der Apg:
Petrus
Jakobus [d. Ä.]
Johannes
Andreas
Philippus
Thomas
Bartholomäus
Matthäus
Jakobus (Sohn des Alphäus) [d. J.]
Simon (der Zelot)
Judas (Sohn des Jakobus) [Judas Thaddäus]
Matthias
Eine Übereinstimmung in der Reihenfolge zwischen Dolmetsch/Bauerle und Apg läßt sich leider nicht herstellen.
6.3 · Die Decke - 10 Tugenden
Im Christlichen Kunstblatt (s.o.) werden nur 7 der 10 Tugend-Darstellungen genannt.
Die Wahrheit: Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit Eph. 4, 25
Die Gerechtigkeit: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit Matth. 5, 26
Die Weisheit: Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang Psalm 111, 10
Die Freude: Freuet euch in dem Herrn allewege Phil. 4, 4
Der Fleiß: Ringet darnach, daß ihr stille seid und das Eure schaffet 1 Thess. 4, 10
Der Glaube: Stehet im Glauben, seid männlich und stark 1 Kor. 16, 13
Die Liebe: So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung Röm. 13, 10
Es fehlen im ChrKbl also: Hoffnung, Geduld und Mäßigung.
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Normalerweise findet man 7 Tugenden:
4 Kardinaltugenden (Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit [Fleiß] und Weisheit
3 Christliche Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung)
Dolmetsch/Bauerle haben also zugefügt: Wahrheit, Freude, Geduld
6.4 · Die Decke - 12 Tierkreiszeichen
Die 12 Tierkreiszeichen folgen - von hinten nach vorne paarweise, zuerst Südseite, dann Nordseite) dem Kalender:
21.01. – 19.02.: Wassermann
20.02. – 20.03.: Fische
21.03. – 20. 04.: Widder
21.04.– 20.05.: Stier
21.05.– 21.06.: Zwillinge
22.06. – 22.07.: Krebs
23.07. – 23.08.: Löwe
24.08. – 23.09.: Jungfrau
24.09. – 23.10.: Waage
24.10. – 23.11.: Skorpion
24.11. – 21.12.: Schütze
22.12. – 20.01.: Steinbock
6.5 · Die Decke - Gesamtsicht
6.6 · Linke Seite (Nord)
Diashow: 2 + 16 Bilder der Decke links (Nordseite - von West nach Ost). Zunächst 2 Übersichten (ab 2. Segment), dann Einzeldarstellungen
6.7 · Rechte Seite (Süd)
Diashow: 2 + 16 Bilder der Decke rechts (Südseite - von Ost nach West). Zunächst 2 Übersichten (bis 5. Segment), dann Einzeldarstellungen
7.1 · 12 Apostel
in der Reihenfolge der Apostelgeschichte: Petrus - Jakobus [d. Ä.] - Johannes - Andreas - Philippus - Thomas - Bartholomäus - Matthäus - Jakobus (Sohn des Alphäus) [d. J.] - Simon (der Zelot) - Judas (Sohn des Jakobus) [Judas Thaddäus] - Matthias
Bemerkenswert, dass Bauerle auf die üblichen Attribute der Apostel verzichtet hat - sie sind daher (mit 1 Ausnahme) nur an den Namen erkennbar.
Von den Zwölfen haben 7 die Bibel in der Hand: zwei schreiben in ihr (Matthäus & Johannes), zwei lesen in ihr (Thomas & Jakobus d. J.). Aufmerksamkeits-/Hinweisgesten finden wir bei Andreas, Philippus und Simon. Alle sind barfuß mit Ausnahme Jakobus d. Ä. (Sandalen), er hat den Wanderstab in der rechten Hand. Matthias hat einen kurzen Stab in der linken und eine Schriftenrolle in der rechten Hand.
Zugstangen zwischen den gegenüberliegenden Paaren (aus statischen Gründen) sind leider schräg laufend oftmals störend im Bild
7.2 · 10 Tugenden
4 Kardinaltugenden (Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit [Fleiß] und Weisheit · 3 Christliche Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung)
Dolmetsch/Bauerle haben zugefügt: Wahrheit, Freude, Geduld
Leuchttisch: Klick in ein Bild öffnet ihn und zeigt die Bilder groß · Bildfolge: von hinten links nach vorne, von vorne rechts nach hinten
7.3 · 12 Tierkreiszeichen · Ein Exkurs zur Degerlocher Kirche
Ulrich Zimmermann wies mich auf einen Artikel hin im „Christlichen Kunstblatt“, 32. Jahrgang, Heft 12, Seite 178-186, Stuttgart 1890 „Die Kunst als Gehilfin der Predigt“ Redaktionsartikel (Herausgeber: Prälat Heinrich Merz) - hier zum Download - und kommentiert:
Bauerle hat dort in der im Artikel beschriebenen Degerlocher Michaelskirche (damals noch einfach Degerlocher Kirche genannt) sein Erstlingswerk gestaltet, die komplette "sinnbildliche" Ausmalung der von Chr. F. v. Leins (Bauleitung H. Dolmetsch) erweiterten und neu gestalteten Kirche. Die ikonographische Konzeption stammt von Bauerles Kunstakademie-Lehrer Jakob Grünenwald, an dessen Stil und Ikonographie sich Bauerle auch später noch orientiert hat. Diese Ausmalung wird im Artikel geschildert und gelobt.
Die Michaelskirche wurde 1961/62 von Architekt Hans Seytter totalrenoviert/purifiziert, was damals ganz selbstverständlich hieß: weg mit der Innenausstattung und -gestaltung 1890.
An drei Knotenpunkten der Gurtbögen sind die vornehmsten Sterngebilde, die zwölf Bilder des sogenannten Tierkreises, gemalt in viereckigen Feldern. (ChrKbl)
Soweit ich sehe, gibt es sonst nirgendwo in der landeskirchlichen Ikonographie die Tierkreiszeichen in einer Kirche. In der Michaelskirche Degerloch hatte Bauerle sie in seinem Erstlingswerk 1890 verwendet, nach Uhlbach nicht mehr.
Darstellung dem Kalenderjahr folgend
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»Kirchen und Kapellen in Stuttgart«.
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